VVN – Lange Version

„Erinnern ist nichts, was man nur über den Kopf durch wissenschaftliche Vermittlung, Vorträge u.a. machen kann. Man muss es öffentlich sichtbar machen.“

Dieser Text basiert auf einem Interview mit der VVN-BdA – Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, das zwei Mitglieder unserer Initiative mit einem Vertreter der VVN-BdA aus Kassel geführt haben. Eine wesentlich gekürzte Version des Textes gibt es hier.

Wie ist dein Zugang zum 8. Mai? Wofür steht das Datum für dich bzw. für die VVN-BdA? Wie erlebt ihr die Praxis vom 8. Mai?

Er ist für mich sehr spannend. Spannend insofern, weil mit dem 8. Mai auch mein Engagement in der antifaschistischen Bewegung – der VVN-BdA – unmittelbar verknüpft ist. Das erste Mal, dass ich direkt mit der VVN-BdA verbunden war, war am 10. Mai 1975. Da gab es eine bundesweite Demonstration zum 8. Mai in Frankfurt. Das war die erste bundesweite Demonstration und Kundgebung zu diesem Datum, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, vom Krieg. Es waren 40.000 Leute da. Also der 8. Mai hat für mich einen sehr persönlichen Zugang.
Aber das ist jetzt für die VVN als Organisation gar nicht so zentral. Für uns als VVN ist der 8. Mai ein zentrales Datum, das jahrzehntelang in der ideologischen Kontroverse der Bundesrepublik Deutschland zwischen Niederlage, Zusammenbruch und Katastrophe diskutiert wurde. Und die Antwort von uns als Antifaschisten war: TAG DER BEFREIUNG. Befreiung bedeutet für uns nicht nur die Befreiung der Völker, der Okkupierten, der Verfolgten, der Inhaftierten in den Konzentrations- und Haftstätten, sondern auch – und selbst wenn sie es nicht kapiert hatten – die Befreiung der Bevölkerung, die jetzt nicht mehr dem Druck des NS-Regimes und deren Ideologie ausgesetzt war und eine Chance bekam einen Neuanfang zu machen.
Das ist die politische Perspektive, die man an diesem Tag immer wieder reaktivieren muss. Esther Bejarano hat 2020 mit ihrem Appell „der 8. Mai muss Feiertag sein“ gesagt: Das ist der Tag, wo wir uns eigentlich immer wieder klar machen müssen, dass die Befreiung vom Faschismus und Krieg nur unterstützt durch die gesammelten militärischen Kräfte der alliierten Koalition aber auch durch den europäischen Widerstand und auch mit den geringen Kräften des Widerstands in Deutschland möglich wurde, dass die NS-Barbarei zu einem Ende kam.

Und darüber nachzudenken, was das bedeutet für unsere heutige Perspektive und die morgige Perspektive, dass muss eigentlich der Sinn dieses Datums sein. Nicht im Sinne von „alleine gedenken“ – natürlich machen wir die Gedenkveranstaltung – aber es hat immer auch die Funktion zu sagen: „Wohin sollte es eigentlich gehen?“.

Es gibt ja über das Jahr andere Daten, die antifaschistisch relevant sind. Für eure Praxis als Organisation – wo steht da der 8. Mai im Verhältnis zum Beispiel zum Tag der Befreiung von Buchenwald?

Also für die Organisation VVN gibt es in der Regel drei zentrale Daten. Das ist einmal – die Jahreschronologie durchgehend – der 27. Januar, die Befreiung von Auschwitz. Das zweite Datum ist selbstverständlich der 8. Mai. Und das dritte Datum, das für uns zentral ist, ist der 9. November. Wobei wir in Kassel das nicht am 9. sondern am 7. machen, weil in Kassel die Pogromnacht am 7. begonnen hat.
Der 7. November, das Gedenken an die Pogromnacht, ist etwas was wir tatsächlich seit 25 Jahren öffentlich machen. Es gibt seit ca. 20 Jahren auch verschiedene Gedenkveranstaltungen u.a. im Rathaussaal, es gibt Lesungen. Wir aber haben gesagt, das ist ein Ereignis, das vor den Augen dieser Stadt passiert ist, also erinnern wir auch vor den Augen dieser Stadt daran. Das war am Anfang eine sehr sportliche Angelegenheit mit wenig Personal. Ich erinnere mich daran, es war einmal ganz unangenehmes Wetter, der November ist ja auch nicht gerade prädestiniert dafür, wo wir mit 12 Leuten da zusammen waren. Trotzdem, wir haben es gemacht. Das ist ein Punkt wo wir sagen:

Erinnern ist nichts, was man nur über den Kopf durch wissenschaftliche Vermittlung, Vorträge u.a. machen kann. Man muss es auch zeigen. Man muss es öffentlich sichtbar machen.

Man kann auch einen Vortrag halten, aber bei bestimmten Dingen finde ich, dass es wichtig ist, dass sie öffentlich sichtbar sind. Dass Leute, die im November schon anfangen die Weihnachtsgeschenke zu kaufen, sich wundern: „Wer läuft da eigentlich wieder rum?; Was tragen die für Transparente?; Was wollen die da eigentlich?“
Und dass man am 8. Mai ans Ehrenmal für die Opfer des Faschismus führt und die Atmosphäre dieses Ortes zusammen mit der Erinnerung an die Befreiung vom Faschismus gemeinsam erlebt. Das hat ja auch eine Ausstrahlung auf die Personen die teilnehmen. Ich will das gar nicht unterschätzen, es hat auch was Emotionales, nicht nur Rationales. Und ich glaube das ist etwas was bei der Frage der Vermittlung und auch für die persönliche antifaschistische Haltung eine Rolle spielt, dass beide Elemente drin sind. Ich bin sehr weit von einer Horrorpädagogik oder irgendwelcher Betroffenheitsdidaktik entfernt, das braucht kein Mensch.

Wir brauchen Wissen. Aber wir brauchen auch etwas, was den Menschen berührt. Es ist nicht nur die Faktenlage, sondern es muss auch etwas sein, wo man sagt: ja, das hat etwas mit meiner Haltung zu tun. Das kann man, glaube ich, in solchen öffentlichen Erinnerungsformen leichter herstellen.

Spätestens seit Bundespräsident Weizsäcker ist die Bezeichnung „Tag der Befreiung“ offizieller Konsens, es gibt wie auch zu anderen Themen und Tagen staatliche Gedenkveranstaltungen. Was braucht es, damit Erinnern nicht nur so ein ritualisiertes, mittlerweile sehr staatstragendes Moment ist?

Wenn ich euch jetzt dazu ein Patentrezept geben könnte, dann könnten wir die Veranstaltung hier jetzt beenden, dann wüssten wir wie das ginge und es wäre alles gemacht. Das ist nicht scherzhaft gemeint, das ist eine sehr ernsthafte Bemerkung vorweg. Denn auch wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, wie eigentlich solche Formen der Erinnerung zu den Haltungen der jeweiligen Generationen kompatibel sind. Wir haben eine Zeit lang unsere Erinnerungsrituale gemacht, haben festgestellt dass immer dieselben Leute kamen und wir wurden dann Stück für Stück älter. Das ist ja auch in Ordnung, nette Leute um sich herum zu haben. Aber man möchte ja auch gucken, ob man auch neue oder andere Menschen gewinnt. Die, das haben wir dann festgestellt, auch andere Fragen und Perspektiven auf ein bestimmtes Datum haben.

Da hat mir natürlich persönlich sehr meine Berufstätigkeit geholfen. Ich bin 20 Jahre Geschichtslehrer gewesen, habe aber auch in einer Region gearbeitet, wo man nicht unbedingt mainstreammäßig antifaschistische Positionen hatte. Wenn man Nordosthessen nimmt, dann ist erklärbar, dass man da ziemlich dicke Bretter bohren musste. Aber, und das war für mich auch ganz wichtig, diese dicken Bretter waren bohrbar. Wenn man Angebote machte, bei denen man junge Menschen mitnahm und ihnen Zugänge zu dem Thema eröffnete. Und nicht nur von oben herab irgendwas erzählte wie die Welt auszusehen hat und die sagen, ja, so sieht sie aus oder nein so sieht sie nicht aus, sondern dass sie dann mitbekommen was sie selber damit zu tun haben. Dann erlebt man, dass man offenkundig Vermittlungen schafft, wo junge Menschen etwas für sich mitnehmen.
Für mich heißt das: Erinnern ist keine ritualisierbare Aufgabe. Erinnern ist immer eine Kampfaufgabe. Es ist tatsächlich eine Herausforderung Wege zu finden, wie man Zugänge zu diesem historischen Thema bei jungen Menschen ermöglicht. Nicht indem man ihnen die Thesen und Ergebnisse vorgibt, sondern indem man ihnen Hilfestellung gibt Richtungen zu finden, aber ihnen selber die Möglichkeit gibt ihren Zugang zu finden. Wichtig ist dabei aus meiner Sicht, und das ist tatsächlich auch VVN-Perspektive, wir müssen etwas machen. Denn – wie du zurecht gesagt hast – es gibt diese ritualisierten Formen des Gedenkens. Du musst nur jeden Tag einmal den Fernseher anschalten, irgendwo findest du eine Sendung über das Dritte Reich. Das ist ja auch okay. Aber es ist ja nicht so, dass das Sendungen wären, die die jungen Leute sich angucken wollten. Das geht ja an ihnen vorbei, das hat ja nichts mit ihnen zu tun.

Also muss man gucken, dass man sie auf Fragestellungen hinweist, ihnen Zugänge eröffnet, die nicht im Mainstreambereich kommunizierte Themen sind. Und eines dieser Themen ist der lokale Bezug. Das heißt: Faschismus fand hier statt, vor den Augen dieser Stadt. Dann sagen wir: Die Verbrechen, über die wir uns alle echauffieren können, waren aber keine Verbrechen, von denen man nicht wusste, sondern sie waren sichtbar. Und selbst wenn Auschwitz ganz weit weg ist, zeigen die Stolpersteine die jetzt rumliegen: hier haben die Leute gewohnt. Das heißt die waren hier in der Gegend.

Das zweite Thema, und das ist eine ganz große Herausforderung, weil das nämlich gewissermaßen auch konträr zum historischen Mainstream ist: wir versuchen immer darauf hinzuweisen, dass es Menschen gab, Frauen und Männer, die sich dem entgegengestellt haben. Es gab nicht nur die Opfer, es gab nicht nur die Verfolgten, es gab nicht nur die, die gelitten haben, ob öffentlich oder weniger öffentlich verfolgt und ausgesperrt wurden. Es gab auch diejenigen, die trotz extremer Bedingungen bereit waren, dem entgegenzutreten. Es geht jetzt nicht darum, dass ich eine heroische Widerstandsgeschichte aufmache. Der Widerstand hat keine heroische Dimension gehabt, durch die wir uns dann anschließend befreit haben. Wir brauchten die militärische Befreiung durch die Alliierten. Aber wenn es uns nicht gelingt, auch zu signalisieren und in Erinnerung zu behalten, dass es diese Frauen und Männer gegeben hat, die sich entgegengesetzt haben, dann haben wir überhaupt keine Chance zu sagen, dass man auch anderen Verhältnissen, mit viel viel weniger Risiko heute – wir leben selbstverständlich nicht unter faschistischen Bedingungen – entgegentreten kann. Dass es sich lohnt, etwas zu machen.

Und die Fragen: Warum haben sie es gemacht und wie haben sie es gemacht? Warum haben sie es gemacht? Sie hatten eine Überzeugung. Eine Überzeugung, entweder humanistisch, religiös oder, wie die meisten, politisch. Eine Überzeugung, die auch eine gewisse Grunderkenntnis dieser Gesellschaft beinhaltete. Wobei ich da gar nicht sagen muss, es gibt nur die oder die andere, dazu gibt es auch viel zu viele Schattierungen innerhalb dieser politischen Überzeugungen.

Aber es bedurfte einer Überzeugung. Man konnte nicht nur sagen, ach das Leben ist schön oder nicht schön. Ich lass es mal auf mich zukommen. Sondern man musste sich schon mal die Mühe gemacht haben, darüber nachzudenken wie diese Gesellschaft eigentlich funktioniert und was da eigentlich falsch läuft.

Zur zweiten Frage: Es war extrem wichtig, dass man es zusammen mit anderen machte. Das man nicht sagt. „Ich bin stark genug; Ich bin Rambo; Ich brauche keine anderen Menschen zum überleben.“ Für mich ist das immer so ein Punkt, wenn ich mit jungen Menschen in Buchenwald eine Gedenkstättenfahrt mache. Ich mache das noch mit schöner Regelmäßigkeit, mache auch selbst die Führungen. Dann versuche ich immer, ihnen an bestimmten Orten zu zeigen, dass wenn man nicht in der Lage ist, zusammen mit anderen unter solchen Bedingungen zu agieren – man muss noch nicht mal eine illegale Widerstandsgruppe bilden, man muss einfach nur ein solidarisches Miteinander und gemeinsamen Umgang haben –, dann überlebt man nicht.
Das ist nichts mit heroischem Widerstand, sondern es hat was mit gemeinschaftlichem Überleben zu tun, was aber natürlich voraussetzt, dass man nicht sagt der andere ist mein Feind oder mein Gegner oder den muss ich kleiner machen, sondern voraussetzt dass man sagt, der andere ist derjenige mit dem ich gemeinsam überleben will. Und das gemeinsame Überleben hat was mit gemeinsamen Überzeugungen zu tun.

Dass für uns dieses Thema Erinnern ganz viel auch mit Widerstand zu tun hat, ist etwas was uns von dem staatlich ritualisierten Gedenken in jeder Hinsicht unterscheidet.

Hier in Kassel haben wir ja noch andere Daten, an denen antifaschistisches Erinnern stattfindet, vielleicht noch nicht genug stattfindet. Wie erlebt ihr da den Umgang mit dem Mord an Halit Yozgat und was für eine Bedeutung hat dieser aus eurer Perspektive?

Das ist vollkommen korrekt. Wenn wir uns bei dem Erinnern und Gedenken allein auf die NS-Zeit beziehen würden, würden wir erheblich wichtige Dinge ausblenden. Geht gar nicht. Wir müssen natürlich Halit Yozgat, als einer der symbolträchtigsten Mordaktionen des Neofaschismus und natürlich den Walter-Lübcke-Mord mitdenken. Das sind Dinge wo ich sage: dazu müsste es eigentlich andere Formen des Erinnerns geben als wir es jetzt im Moment erleben. Wir haben vor zwei oder drei Jahren, wahrscheinlich drei, mal eine Kontroverse auch mit von unserer Seite aus angestoßen.
Die Initiative 6. April, die eigentlich immer die Federführung der Aktivitäten dort macht, und die auch in die Kontakte zur Familie Yozgat eingebunden war, hatte auf einmal ein Problem mit der Stadt, die dieses Gedenken quasi anders konnotieren wollte. Die auf einmal die Federführung übernehmen wollte. Und auch in diesem Jahr die Federführung übernommen hat. Und wo ich denke – Moment mal.

Wenn man der Zivilgesellschaft diesen Gedenktag quasi enteignet, und in die administrative Verantwortung der Stadt übergibt, und die Stadt dann im Prinzip ihr Programm abspult, und den Rest außen vor lässt, dann entsteht daraus keine antifaschistische Perspektive, Überlegung und Orientierung zu ziehen.

Ich hab nichts dagegen, dass die Stadt für sich sagt: Ja, wir legen da auch einen Kranz, das ist ihre eigentliche Vorgabe, das sollte so sein. Die sollte auch meinetwegen eine Rede dazu halten. Aber der Umgang mit Neofaschismus, gewalttätiger Faschismus heute, kann doch nicht die Aufgabe des Stadtoberhauptes sein, der dann in freundlichen und salbungsvollen Worten redet. Dann auch noch mit dem Generalkonsul der Türkei, der da auftreten darf. Okay, wenn die Familie Yozgat das möchte, dass ein staatlicher Vertreter da ist, dann werde ich den Teufel tun, es ihnen zu untersagen. Aber es ist definitiv nicht die Perspektive der antirassistischen und antifaschistischen Bewegung. Und deswegen, bin ich sehr zurückhaltend was diese Sache angeht. Ich hab bisher nicht erlebt, dass der Oberbürgermeister, egal welcher es war, sich in besonderer Weise aus dem Fenster gelehnt hätte um zu sagen: wir verurteilen aufs Schärfste die Untätigkeit der Sicherheitsbehörden, sondern das wurde immer nur auf die Einzeltäterschaft von den Dreien zurückgezogen. Das kann es natürlich nicht sein.

Die Herausforderung ist und das ist auch eine Schwierigkeit im Umgang mit dem 6. April: Solange die Familie Yozgat auch für sich selber – natürlich völlig zurecht – reklamiert, ihrem Sohn, dem Opfer des Naziterrors, zu erinnern und bestimmte Formen des Erinnerns für sie relevant sind, würde ich den Teufel tun, etwas gegen oder ohne diese Familie zu organisieren. Zumindest würde ich das mit berücksichtigen. Das geht nicht. Aber trotzdem brauchen wir als Gesellschaft Wege und Formen dieses Verbrechens und der Verbrecher und der sie Deckenden zu erinnern, um das nicht einfach nur als Datum stehen zu lassen.

Dasselbe Problem haben wir ja auch bezogen auf den Walter-Lübcke-Mord, da ist es sogar noch schwieriger. Weil da natürlich noch viel „mehr“ mit dran hängt. Also wenn man allein dieses Verfahren betrachtet, wo alles dafür getan worden ist, keine kriminelle Vereinigung daraus zu machen, sondern die Einzeltäterthese noch einmal bestätigt wurde durchs Gericht. Und nicht nur das, sondern auch noch Hartmann quasi da raus genommen wurde nach dem Motto „Das können wir ja gar nicht nachweisen und der Waffenlieferant, das war ein Zufallskunde“, also es ist absurd. Trotzdem ist es schwierig wie man das macht, weil natürlich auch die Bedarfslage der Familie Lübcke, Frau Lübcke und die beiden Söhne, mit bedacht werden muss. Man kann nichts machen, was quasi gegen sie gerichtet scheint, sondern man muss andere Dinge machen, es möglicherweise kontextualisieren, oder in anderer Form mit aufnehmen. Und das ist auch eine Frage von Sensibilität im Umgang miteinander.

Das war ja letztes Jahr unser Ausgangspunkt. Das zu verbinden und dann kommen ja aber Fragen: Welche Form des Erinnerns ist richtig und wie kann man politische Forderungen sichtbar machen? Wie können unsere Bündnisse größer werden? Betroffene sind nicht unbedingt Antifaschist:innen und in solchen Prozessen stößt man natürlich dann an Grenzen.

Ich bin dafür punktuelle Allianzen zu schaffen. Ich bin gegen die großartigen Gemeinschaftsunterzeichungen, also Bündnisse, die durch Dinge, die außen passieren – wir haben jetzt gerade den Ukrainekrieg – auf einmal zerschossen werden, weil man zu bestimmten Themen nicht miteinander spielt oder so unterschiedliche Meinungen hat, dass man dann nicht miteinander reden kann. Aber was hat denn der Ukrainekrieg mit unserem Kampf gegen rassistische Vorfälle in der Bundesrepublik zu tun? Also muss man gucken, wie kriegt man es hin, das man die themenbezogenen Zusammenführungen von Kräften verstärkt. Und fragen was ist die jeweilige Zielperspektive, was wollen wir mit der jeweiligen Aktion erreichen? Wollen wir uns selber verständigen? Wollen wir signalisieren, dass es ganz viele Unterstützer einer bestimmten Haltung gibt? Das wäre eine ganz positive Perspektive. Oder wollen wir in bestimmten Bereichen gesellschaftlich wahrgenommen werden? Das geht natürlich nur, wenn man auch Kräfte in dieser Allianz hat, die auch gesellschaftliche Bedeutung haben. Da sag ich mal so, wir als VVN sind zwar eine zentrale und wichtige Organisation, aber mit unseren aktuell 8000 Mitgliedern, sind wir sicherlich nicht die Kraft, die das Thema Antifaschismus alleine in der BRD vorantreibt. Geht nicht. Das zu wissen, heißt natürlich überhaupt gar nicht zu resignieren, sondern heißt nur, dass man darüber nachdenken muss, ob es nicht vielleicht auch Organisationen gibt, die ein paar Tausend, manchmal sogar ein paar Millionen Mitglieder mehr haben als wir, die aber bei den inhaltlichen Aussagen mit uns durchaus eng verbunden sind, an bestimmten Punkten. Ich meine z.B. Gewerkschaften. Ich will jetzt gar keine parteipolitische Orientierung machen. Dann gibt es den Paritätischen Wohlfahrtsverband also die Sozialverbände, die an bestimmten Punkten mit uns ganz eng zusammen gehen können, weil sie in Bezug auf die durch sie vertretene Bevölkerungsgruppe, ganz ähnliche Ausgrenzungserfahrungen oder Stigmatisierungen erleben und die sagen, ja mit euch können wir was machen. Und das ist immer der Punkt, das es diese zwei Perspektiven gibt: Was will ich eigentlich in dieser Aktion machen? Und das zweite was sind die gesellschaftlichen Kräfte, mit denen ich zusammen gehen muss?

An der Stelle: Wie sind denn da eure Erfahrungen mit antirassistischen oder migrantischen Gruppen? Habt ihr da Erfahrungen?

Schwierig. Wir haben Erfahrungen. Beispielsweise, mit wem wir seit vielen Jahren, Jahrzehnten sehr vertrauensvoll zusammenarbeiten ist DIDF. Eine der Organisationen im türkisch, kurdischen migrantischen Milieu. Seit April letzten Jahres haben wir eine neue Bundessprecherin. Denise Torres, gebürtig Bolivianerin, die arbeitet in Frankfurt im sozialpädagogischen Bereich und ist sehr vernetzt in die migrantischen Strukturen. Das heißt, wir haben durch sie eine direkte Vernetzung in unsere politischen Entscheidungsstrukturen und das finde ich ganz gut. Wir haben immer schon einen sehr engen Draht und praktische Zusammenarbeit mit der Community der Sinti und Roma.
Das heißt, wir haben schon Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit diesen Gruppen, aber wir wissen auch, dass es nicht immer einfach ist. Und zwar weil sich innerhalb dieser Gruppen und damit meine ich jetzt nicht gerade die Migrantifa, die gibt es ja in einzelnen Orten auch als Gruppe, sondern innerhalb der migrantischen Communities zwei Dinge verbinden:

Betroffenheit durch rassistische Diskriminierung als Realerfahrung, die wir als „Gebürtige“ oder „Native“ oder was auch immer, welcher Begriff ist mir völlig egal, tatsächlich nur von Ihnen erfahren können, weil das erleben wir nicht. Ich habe zwei Freunde, die zu den PoC gehören, die mir erzählen, das sie wenn sie am Bahnhof vorbei gehen immer die erste Sorge haben, „Werde ich heute wieder kontrolliert?“. Da sage ich, hör mal „ du siehst normal aus“. „Nein, nein – anlasslos““. Das ist eine Erfahrung die habe ich nicht, die kann ich mir immer nur erklären, erzählen lassen. Das ist das eine: Die haben eine Diskriminierungserfahrung, die wir von ihnen erfahren müssen, annehmen müssen und uns auch erstmal damit auseinandersetzen müssen.

Das zweite ist aber auch noch, wenn sie sich in einer migrantischen Community bewegen, die sich auch noch einer bestimmten Gruppenzusammengehörigkeit anschließt, haben sie gleichzeitig innerhalb ihres Zirkels eine Form von Nationalismus bzw. nationalistische Perspektiven, was ja auch durchaus nachvollziehbar ist. Es sind ja nicht nur Sprach-Communities, sondern auch kulturelle Communities das ist ja alles auch in Ordnung. Aber zu erwarten, dass jemand der Diskriminierungserfahrungen erlebt, definitiv keine Diskriminierung gegen andere ausübt, das ist völliger Quatsch. Das ist blauäugig, illusionär, das geht nicht. Also muss man gucken, wenn man mit diesen Gruppen kooperiert oder versucht zusammenzugehen, ob das anlassbezogen möglich ist. Abgesehen von den Sinti und Roma-Strukturen mit denen wir sehr kontinuierlich zusammenarbeiten und DIDF, haben wir eher anlassbezogene Kooperationen. Die sind nicht schwierig, aber sie sind nicht kontinuierlich.

Eine Vorstellung, die mag eine Illusion sein, wäre ja, gerade dann wenn sich rassistische Gewalt sehr extrem zeigt, zu sagen, lasst uns gemeinsam dagegen kämpfen, dann sind wir stärker. Da gibt es eine Möglichkeit Antifaschismus sehr klar zu benennen an der Stelle. Was denkst du darüber?

Also ich sag mal so, wenn es beispielsweise in der Flüchtlingsarbeit darum geht, sich gegen die Diskriminierung oder gegen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gemeinsam zu wehren, da spielt es überhaupt keine Rolle welcher Nationalität der Flüchtling ist. Da geht es darum, dass hier rechte Gewalt, rechte Angriffe der weißen Mehrheitsgesellschaft, wie sie sich ja selbst glaubt zu definieren, gegen die „Fremden“ passiert. Dagegen kann man sich sofort verbünden.

Die größere Problematik ist, wenn es um strukturellen Rassismus geht, wenn es um Alltagsrassismus geht und um die Frage, „Wie kriegt man eigentlich solche Ausgrenzungssysteme geknackt?“ und „Was kann man da machen?“.

Wir haben in den letzten Jahren durch unterschiedliche Erfahrungen gemerkt, wie schwierig es ist, solche Arbeit auf den Weg zu bringen und da auch kontinuierlich zu arbeiten. Anlassbezogen funktioniert das immer, aber auf lange Sicht sind manchmal ganz schön dicke Bretter zu bohren. Und das ist immer ein Klassiker: Es hat auch immer mit Akteuren zu tun. Mit Menschen, die in der Lage sind das auf den Weg zu bringen oder die auch als Ansprechpartner da sind. Und wenn dann so ein Ansprechpartner weg ist, aus welchen Gründen auch immer, dann bricht da immer etwas weg. Es sind immer auch Menschen.

Wir haben diese beiden Morde, Walter Lübcke, Halit Yozgat. Für uns markiert das, dass der Aufbau einer antifaschistischen Gesellschaft nach `45 nicht gelungen ist. Was heißt das für antifaschistische Praxis heute?

Wir haben als politisches Programm unserer Organisation immer noch die Kernbotschaft der Häftlinge von Buchenwald von 1945 „Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unser Ziel …“. Wenn wir 77 Jahre lang immer noch dieselbe Botschaft haben, heißt das ja, dass diese Ziele, die die Überlebenden der Lager und zwar nicht nur in Buchenwald – in anderen Lagern gibt es ähnliche, es gibt das Mauthausenvermächtnis und und und – formuliert haben, noch nicht funktioniert haben. Dass es Ansätze der gesellschaftlichen Neuorientierung gegeben hat, ist alles richtig. Es hat verschiedene Umstrukturierungen gegeben, Demokratisierungsprozesse. Ist alles richtig. Aber Grundstrukturen der Gesellschaft, die nämlich auch Grundlagen für eine sozial gerechte Gesellschaft herstellen, sind offensichtlich noch nicht in der Form geschaffen worden.
Jetzt haben wir natürlich ein Problem. Das zu sagen und zu fragen, was für eine Gesellschaft streben wir eigentlich an, ist natürlich eng verknüpft. Aber gesellschaftspolitische Perspektiven sind aus unserer Sicht nicht an bestimmte Gesellschaftsformationen geknüpft, sondern an Handlungsrahmen und Optionen, von denen wir sagen, dass es die eigentlich sein müssten: Umfassende Demokratisierung und Freiheitsrechte. Die Einschränkung dieser Rechte ist für uns absolutes No Go. Aber eine Gesellschaft hat auch was mit Verantwortung zu tun und zwar auch sozialer Verantwortung für die Schwächsten und die am meisten Betroffenen von Problemen.

Das heißt wir sagen, eine gerechte Gesellschaft hat auch was mit sozialer Gerechtigkeit zu tun und soziale Gerechtigkeit lässt sich in der Regel nur dadurch herstellen, das bestimmte wirtschaftliche Verhältnisse neu sortiert werden.

Das heißt, Dinge die wir bezahlen müssen, müssen ja auch irgendwo herkommen und wenn man meint, man gibt denjenigen, die die wirtschaftliche Macht haben, alle Erträge und nicht denen, die es brauchen, haben wir halt ein Problem.
Das heißt jetzt nicht, dass ich der Meinung bin, die VVN muss für Sozialismus kämpfen. Aber das heißt, wenn wir sagen es gibt gesellschaftliche Notwendigkeiten, inwieweit haben auch Rassismus und Stigmatisierung damit zu tun? Menschen mit der Illusion, nur sie seien die Anspruchsberechtigten und nicht die Anderen, sagen auch, der Andere hat hier nichts zu suchen. Und wer diese Anderen hier rein holt und mir Konkurrenz herstellt, der ist zu ermorden – der Fall Walter Lübcke. Also das was dort in Kaufungen bei der Veranstaltung gegen ihn gelaufen ist, das war ja nix anderes als aufhetzen zum Pogrom.
Also das heißt, wir brauchen Gesellschaftsformen in denen das Recht jedes Menschen gewährleistet ist, nicht jedes Deutschen. Die „Würde des Menschen“ heißt es immerhin im Grundgesetz, etwas das man immer mal wieder formulieren darf. Die hessische Verfassung ist in machen Punkten viel deutlicher. Was da formuliert ist, sollte nicht nur am Verfassungstag mal erzählt werden, sondern tatsächlich gesellschaftliche Zielperspektive sein, um solche rassistischen, menschenfeindlichen Ausgrenzungen gesellschaftlich beantworten zu können.
Und deswegen sage ich, die Verfassungsansprüche sind immer noch zu erfüllen, die sind nämlich noch gar nicht da. Und das ist für mich auch eine Grundlage zu sagen, Antifaschismus zukünftig heißt auch, solche Ansprüche mit Leben zu füllen. Als Beamter des Landes Hessen habe ich nie Probleme beim Einschwören auf die hessische Verfassung gehabt. Es gab einige die das von mir gefordert haben, die das vielleicht nicht so richtig verstanden haben. Ich fand das richtig gut. Das ist jetzt die grundsätzliche Antwort:

Wir brauchen keine andere Gesellschaft. Wir brauchen eine Gesellschaft in der die Ansprüche und Versprechen, die eigentlich mal aus der Aufarbeitung des Faschismus entstanden sind, auch tatsächlich mit Leben gefüllt werden. Denn das werden sie nicht.

Kurz nach dem Mord an Halit Yozgat 2006 gab es ja eine Demonstration hier die von der Familie und anderen aus dem Umfeld organisiert wurde. Die richtete sich auch gegen die Kriminalisierung von ihnen selbst, weil sie ja ins Fadenkreuz der Ermittlungen genommen wurden. Viele von uns waren nicht auf dieser Demonstration und wir fragen uns, wieso waren wir eigentlich nicht da? Mittlerweile gab es die Selbstenttarnung des NSU, dann den NSU-Prozess. Kannst du noch was sagen, aus deiner Perspektive, ob sich da irgendwas getan hat in Bezug auf die Aufarbeitung, aber auch in Bezug auf uns als breite Zivilgesellschaft oder als Antifaschist:innen?

Ich war auch nicht da. Ich kann auch sagen, warum ich nicht da war. Nicht weil ich der Meinung war, dass ich da nicht hätte hingehen müssen, sondern weil es zum Zeitpunkt 2006 noch nicht die Netzwerkkommunikation gegeben hat, die wir heute haben. Das „Bündnis gegen Rechts“ hat es zwar schon mal gegeben, aber das war immer punktuell organisiert, wenn NPD- Aufmärsche waren zum Beispiel. Das war auch sehr erfolgreich. Aber die Demonstration, die 2006 von der Familie Yozgat organisiert worden war, war organisiert worden im Netzwerk mit anderen, die als Opfer des NSU bereits betroffen waren. Innerhalb deren Community. Das heißt, was sich positiv verändert hat, ist dass die Kräfte der Stadtgesellschaft oder Zivilgesellschaft, die sich für Antirassismus und Antifaschismus interessieren, mittlerweile deutlich enger zusammen gehen und auch deutlich mehr abstimmen. Nicht im Sinne von immer alles zusammen machen, gar nicht. Aber man weiß voneinander, man hört voneinander, und wenn jemand beispielsweise was vorschlägt, dann kommuniziert man das über die Netzwerke weiter. Das ist positiv.

Ich will aber einen Schritt zurück gehen. Natürlich ist für Kassel Yozgat und Lübcke zentral. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, und zwar in der gesamten Geschichte, beginnend in den 50er Jahren, immer faschistische, neofaschistische Morde hatten. Nicht eine Mordserie, sondern oftmals Einzelaktionen, aber bitte: das Oktoberfestattentat. Eine der schlimmsten Mordaktionen aus dem Umfeld der Wehrsportgruppe Hoffmann. Das wurde zu einer Einzeltäteraktion hochstilisiert, was erst nach Jahren des Prozesses dann abgelegt worden ist. Wir haben immer extrem rechte terroristische Gewalt in unserem Land gehabt. Dramatisch anders geworden ist es eigentlich erst deswegen, weil mit dem Mord des NSU eine Serie sichtbar geworden ist.

Bezogen auf die Sicherheitsorgane: Es hat sich schon verändert durch die Perspektive auf die Mordserie, dass das etwas war, was die Sicherheitsorgane auch begleitet haben. Und es gibt die Besonderheit des Mordes an Lübcke, wo ein Vertreter des Staates angegriffen worden ist. Dennoch haben sich die Sicherheitsorgane überhaupt nicht im positiven Sinn verändert, auch jetzt nicht, wenn man die Berichte über die rechten Chatgruppen im KSK, in der Polizei und sonstige Dinge nimmt. Und auch bei den sogenannten Preppern. Also ich bin mir ziemlich sicher, dass wir innerhalb unserer Gesellschaft noch eine Reihe von nicht schlummernden, sondern virulenten extrem rechten, gewaltbereiten Netzen haben. Von Personen, die wir zum Glück noch nicht kennen, weil, ich würde sie auch ungern kennen lernen. Es ist aber nicht auszuschließen, dass sie bei einer entsprechenden Veränderung der gesellschaftlichen Stimmung meinen, sie müssten den „Volkswillen“ – natürlich der weißen Mehrheitsbevölkerung – umsetzen und dann weiter mit Mordaktionen agieren. Wenn sie in Gruppenzusammenhängen noch zusätzlich gepusht werden, und die Preppergruppen sind solche Zusammenhänge, dann ist die Gefahr von gewalttätigen Übergriffen weiter zunehmend gegeben.

Also ich bin da, was die Sicherheitsorgane und deren Haltung angeht, äußerst skeptisch. Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, dass DIE Polizei und DER Verfassungsschutz und DIE Armee da jetzt die Sicherheit in Frage stellen. Aber ich weiß dass es innerhalb dieser Organe durchaus solche Strukturen gibt, die dann auch überhaupt kein Problem damit haben, wenn solche gewaltbereiten und extrem rechten Netze und Gruppen von der Leine gelassen werden.

Und meinst du, wir sind da gut drauf vorbereitet? Meinst du es könnte genügend Widerstand in der Gesellschaft geben? Müssten wir uns nicht eigentlich alle Antifaschist*innen nennen? Also muss nicht der Begriff Antifaschismus viel breiter gesellschaftlich verankert werden?

Ich bin sowieso der Meinung, dass wir alle Antifaschisten sein sollten, das finde ich sowieso klar. Ich denke, der Staat hat lange Zeit aktiv dafür gewirkt, dass der Begriff Antifaschismus auch als Denunziationsbegriff benutzt wird. Natürlich, die Umkehrung ist, wir haben uns positiv damit identifiziert. Wir sind Antifaschisten und wir haben relativ viel Zuspruch und Unterstützung dafür bekommen. Aber die Tatsache, dass bis zum letzten Jahr der bayrische Verfassungsschutz die VVN immer noch als größte extremistisch beeinflusste Organisation gelistet hatte und Antifaschismus im Bundesverfassungsschutzbericht immer noch als gewalttätige Bewegung denunziert wird, macht klar, dass die rechten Kräfte innerhalb der Staatsorgane natürlich einen Teufel tun werden, den Begriff Antifaschismus gesellschaftlich zu öffnen und akzeptiert zu machen.
Ich benenne jetzt nur mal die Aufregung, als die Junge Freiheit meinte, Nancy Faeser, die Bundesinnenministerin, denunzieren zu können. Sie hat im Sommer, vor ihrer Zeit als Innenministerin, als Oppositionsführerin in Hessen, der Antifa, d.h. unserer Verbandszeitung, einen Gastkommentar über den NSU 2.0 geschrieben. Das führte zu dieser wahnsinnigen Empörung: „Wie kann sie denn in der Antifa veröffentlichen?“. Das heißt, Antifa ist Schmuddelkind, zumindest in dieser Denunziationsperspektive.

Aber Antifa ist auf der anderen Seite für ein gesellschaftlich interessiertes Spektrum von Menschen die sich für mehr Demokratie, für antirassistische Perspektiven einsetzen, ein positiv besetzter Begriff.

Deswegen habe ich auch ein bisschen Probleme damit, wenn manchmal aus dem Kreis der autonomen Antifagruppen von staatlichem Antifaschismus gesprochen wird. Warum nehmt ihr eigentlich die Denunziation diesen Begriffes, indem ihr den jetzt noch doppelt denunziert? Indem ihr sagt, das ist auch Staatshandeln. Nein, das staatliche Handeln des Erinnerns und Gedenkens und der formalen Veranstaltungen im Bundestag hat mit Antifaschismus, wie wir ihn verstehen, wenig zu tun.
Ich glaube, dass der Begriff des Antifaschismus schon auch eine Haltung ist, die aber tatsächlich auch eine Haltung des Handelns des Einzelnen mit beinhaltet. Das hat auch ein bisschen was mit den Erfahrungen aus dem antifaschistischen Widerstand zu tun. Dort gibt es ja auch immer wieder die Frage, wen man als Widerstandskämpfer bezeichnet. Ich bin ganz offen für ganz viele unterschiedliche ablehnende Haltungen gegenüber dem NS-Regime.

Aber wenn ich von Widerstand spreche, von antifaschistischem Widerstand, dann gehört für mich immer auch das Handeln dazu. Nicht nur eine Überzeugung, sondern das Handeln.

Die jungen Menschen, die sich heute mit dem Thema beschäftigen, müssen verstehen, was das mit ihrem eigenen Leben und ihrem Handeln zu tun hat. Und deswegen ist dieser Satz „Wir müssen alle Antifaschisten sein“ anspruchsvoll. Ja, antifaschistisch denken jederzeit, aber wir müssen auch antifaschistisch handeln. Und da macht nicht immer jeder mit, und manche machen gar nicht mit. Das ist einfach so.