„Diskriminierung und Rassismus sind eine Form, um dich klein zu halten. Unsere Aufgabe ist es, diese Form aufzudecken und sich dagegen zu organisieren.“
Interview vom 31.03.20222 mit der DIDF Kassel – Demokratischer Kulturverein e.V.. Eine gekürzte Version des Gesprächs zwischen drei Personen vom antifaschistischen Mai und 4 Personen der Kasseler DIDF.
Ist der 8. Mai ein Bezugspunkt für euch?
B: Bis heute haben wir den 8.Mai nicht groß wahr genommen. Bestimmt gibt es Leute bei uns, die mehr von Geschichte wissen. Da gab es vor ein paar Jahren eine Recherche zu den Entwicklungen im Justizbereich nach dem zweiten Weltkrieg. Die Leute in diesem Bereich waren viele alte Nazis, viele Gesetze aus vor dem zweiten Weltkrieg waren immer noch da. Viele Linke sind klein gehalten worden. Das hat mir die Augen geöffnet und mich nicht überrascht: Ich verstehe besser, dass mit diesen Strukturen Rassismus und Morde nicht richtig verfolgt und aufgedeckt werden. Die Geschichte ist nicht richtig aufgearbeitet worden. Es wurde sich nicht richtig mit dem Faschismus auseinandergesetzt.
Meine Arbeitskollegin hat von ihrer Mutter erzählt aus der NS-Zeit: Es war selbstverständlich, dass in der NS-Zeit immer mehr jüdische Menschen verschwunden sind. Das hat niemanden interessiert, niemand wollte wissen: Wohin gehen die Leute, was passiert mit ihnen?
Unser Verein hat sich eher mit aktuellen Themen auseinandergesetzt: Probleme, Themen die Migranten haben, gleiche Rechte für alle eingefordert. Tagtäglich Diskriminierung und Rassismus erlebt und dann angefangen sich damit bewusster zu beschäftigen.
In anderen linken Organisationen sind meine Interessen immer noch zu schwach vertreten, deswegen brauchen wir unsere Organisation. Man könnte fragen:“Warum bin ich nicht in einer anderen linken Organisation?“. Doch da sind Themen wie Rassismus nicht genug präsent. Ich habe ganz andere zusätzliche Probleme als Migrantin.
Zum Beispiel der 8.März – der internationale Frauenkampftag: Was sind unsere Positionen als migrantischer Verein, wo sind die Schnittstellen mit anderen? Mit dem 8.März haben wir vom Migrantinnenbündnis großen Wert darauf gelegt, dass wir eine gemeinsame Aktion machen, unabhängig davon, welche Nationalität die Frauen haben. Manchmal wurden wir verarscht von anderen Gruppen oder kleingehalten: Es war selbstverständlich, dass wir von DIDF den Essensstand machen. Irgendwann habe ich meine Frauengruppe angerufen und gesagt: „Ich mache keinen Essensstand mehr, scheissegal. Ich mache nicht mehr mit, ich mache lieber einen Redebeitrag. Ich will inhaltlich was sagen!“ Schluss mit den Klischees.
Wie ist die Beschäftigung mit rechten Strukturen für euch Thema?
H: Rechte sind Rechte, ob nun in der Türkei oder hier. Da passiert das vielleicht noch grober als wie hier. Mich betrifft die Entwicklung hier, weil ich hier lebe.
DIDF ist damals gegründet worden, um zwischen deutschen Arbeitnehmern und türkischen Migranten eine Brücke zu bauen. Rassismus und Faschismus war und ist immer noch ein Thema. Früher, wenn man über Rassismus geredet hat, wurde gesagt: „Okay, es betrifft dich als Ausländer.“ Langsam wird gesehen, dass es nicht unser Problem ist. Rassismus ist eine Meinung, die jeden betrifft. Man soll und man muss was dagegen machen: egal wie, egal mit welchen Bündnissen oder Gruppierungen. Deswegen sind wir auch hier.
Wir sollten in der Zukunft Andere erreichen, die nicht so bewusst denken. Mich interessieren hierzu besonders die Jugendlichen. Auch die Fridays for Future – Bewegung zeigt, dass die Jugend was will, es ist eine politische Forderung. Sie sagen: „Wir wollen atmen, wir wollen leben, egal was es kostet.“
B: Rassismus ist unser alltägliches Geschäft. Die Leute werden gegenseitig ausgespielt, das passiert immer wieder, auch durch Kriege und Zuwanderung, das ist unser Alltag. Das ist wieder sehr sehr aktuell, das hat nicht aufgehört. Zum Beispiel: Viele Migranten aus der Türkei finden keine kleinen Jobs mehr, weil die Anderen (Kriegsflüchtlinge) bevorzugt werden.
Wir müssen die Leute nicht getrennt durch Ethnie, Religion oder Zugehörigkeit, Hautfarbe sehen. Es geht darum, einen gemeinsamen Nenner zu finden, der gemeinsame Nenner ist Klasse. Es geht um Teilhabe, da müssen wir uns zusammenfinden.
Warum haben wir heute nicht die antifaschistische und antirassistische Gesellschaft, von der wir träumen?
B: Wenn wir die Zusammenhänge nicht aufdecken, kommen wir nicht weiter. Diskriminierung und Rassismus sind eine Form der Ausbeutung. Das ist doch verrückt, man denkt: “ Du bist eine Frau: du kannst nicht so wie ein Mann arbeiten, du bringst nicht die gleiche Leistung. Du bist Türkin, du bist Kurdin: Ihr seid nicht gleich, du arbeitest nicht so gut wie Deutsche. Was mache ich damit? Mehr arbeiten, damit ich anerkannt werde? Wer profitiert davon? – das Kapital.“
Diskriminierung und Rassismus sind eine Form, um dich kleinzuhalten. Unsere Aufgabe ist es, diese Form aufzudecken und sich dagegen zu organisieren.
H: Ich lebe in Deutschland, aber Rassimus ist nicht nur mein Problem als Ausländer. Die deutsche Bevölkerung hat eine Geschichte hinter sich, die nicht hunderte von Jahren her ist;
Sie ist frisch, die Akte ist nicht zu. Die nationalistische und faschistische Akte haben die Deutschen nicht richtig verarbeitet.
Ich meine nicht Deutsche als Einzelpersonen.
Es braucht mehr Aufklärung, Bündnisse müssen mehr werden. Wir haben keine Zeit für Auseinandersetzungen in der Linken wie in den 70er oder 80er Jahren. Die Interessenvertreter werden immer stärker, ob man es nun Kapital oder Kapitalismus nennt. Die Gewerkschaften werden schwächer, ihre Interessen gehen nicht an den Kern des Problems. Reportagen hin, Schriften her, solange man nicht gemeinsam auf die Strasse mobilisiert passiert nicht genug. Gerade auch Arbeitnehmer müssen mehr auf die Straße. Wo gibt es politische Streiks? Leute müssen sich das Recht auf einen politischen Streik erkämpfen.
Eine Mobilisierung muss antifaschistisch sein, das bewußt zu machen ist schwer, denn jeder hat ein anderes Interesse. Es braucht auch Bündnisse mit Gewerkschaftlern.
B: Ich bin auch für große Organisationen, aber wenn die Gewerkschaften sich nicht positionieren und nicht Antifaschismus und Antikapitalismus in den Mund nehmen, dann haben wir einen Konflikt, haben wir Schwierigkeiten.
A: Gewerkschaften sind nicht mehr so links: Wo wir gegen Erdoğan auf der Strasse waren, haben die Gewerkschaftler mitgemacht. Danach sind Mitglieder ausgetreten, dann hat die Gewerkschaft wieder einen Rückzug gemacht, aus Angst Leute zu verlieren.
B: Ich habe vor vielen Jahren eine Veranstaltung besucht, da war ein Mann aus Israel. Er hat ein Buch geschrieben „Wir fangen wieder neu an“. Immer wenn ich sehr sehr demotiviert bin dann denke ich immer wieder an diesen Satz, den er gesagt hat:“Dann müssen wir neu anfangen.“ Einfach klein anfangen.
Zu dem Mord an Halit Yozgat: auch hier gelingt es nicht Bündnisse zu bilden, die Zusammenarbeit ist kompliziert. Wie erlebt ihr das?
B: Ich kann mich genau erinnern: Damals als Halit Yozgat ermordet wurde, gab es von einer Antifa-Gruppe ein kleines Flugblatt. Die haben genau so gesagt, dass es rassistische Morde sind. Aber keiner hat es ernst genommen.
A: Letztes Jahr hatten wir einen Redebeitrag vorbereitet. Gleich kam von der Organisation jemand und meinte: „Nicht sagen, dass ihr von DIDF seid. Nicht sagen, nur den Redebeitrag.“ Die junge Frau, die das lesen sollte, war verwirrt. Wir haben den Beitrag dann gemacht und nicht gesagt, dass er von der DIDF ist. Dieses Jahr haben machen wir deshalb keinen Beitrag. Früher gab es immer viele türkische Fahnen, islamische Fahnen. Das finde ich gut, wenn es keine Fahnen gibt. Aber nicht zu sagen, wer wir sind, verstehe ich nicht.
B: Das ist ein Problem heutzutage. Du kannst nicht deine politische Organisation einfach offen zeigen. Sie wollen ein bisschen Diskriminierung thematisieren und diesen Mord verurteilen, aber nicht genauer benennen, woher das kommt.
Wie können wir gemeinsamer politisch aktiv werden?
A: Unter den Linken gibt es zu viele Meinungen, zu viele getrennte Gruppen, das ist nicht nur hier so sondern auch in der Türkei. Wie man die zusammenbringt, weiß ich nicht.
B: Wo ich mein Interesse vertreten fühle, da geh ich hin. Diesen Schritt müssen wir machen.
Nur wenn wir gemeinsam verstehen, was wir wollen, erreichen wir was.
Da spielt die Hautfarbe keine Rolle. Ich sehe immer eine Bereicherung in solchen Gesprächen wie dieses heute. Wenn ich politisch aktiv bin, lerne ich von euch. Wenn wir zusammen etwas organisieren, dann können wir uns weiter entwickeln.
Neulich habe ich einen Satz gefunden, in einem ganz anderen Zusammenhang. Meine Nachbarin erzählt mir immer viel von ihrem Kummer, davon was ihr im Garten Probleme macht. Als ich angefangen habe, von meinen Problemen zu erzählen, sagte sie immer: Ich weiss es nicht, ich kann es nicht beurteilen. Sie versucht die ganze Zeit, mich für ihre Probleme zu mobilisieren. Ich fühle mich nicht mit einbezogen. Dann habe ich eine Frage formuliert:
„Kannst du dich auch für meine Interessen mobilisieren? Dann können wir unser gemeinsames Interesse verbinden und was damit machen.“