„Wichtig ist, diese Kämpfe nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zu gucken, was eigentlich die verbindenden Punkte sind.“
Interview vom 26.04 zwischen zwei Mitgliedern der Initiative 06. April und zwei Personen des Antifaschistischen Mai. Das Folgende ist eine gekürzte Version des Gesprächs, eine länger Version ist hier zu finden.
Ihr als Initiative 6. April beschäftigt euch mit dem Mord an Halit Yozgat, habt Gedenkveranstaltungen mitorganisiert und wart im Kontakt mit der Familie Yozgat. Wieso findet ihr es politisch wichtig zu Halits Gedenken zu arbeiten?
Auf der Gedenkveranstaltung der Familie Yozgat 2012, nach der Selbstenttarnung des NSU, haben Menschen gemerkt, dass es Unterstützung braucht. Die Gründer*innen der Ini beschreiben das immer so, dass sie gemerkt haben, dass bei der Rede von Ismail Yozgat niemand so richtig zugehört hat, viele die Augen verdreht haben und der Inhalt sich nicht an eine Dominanzgesellschaft vermittelt hat. Es stellte sich die Frage: Wer wird da eigentlich gehört und wessen Perspektiven sind da wichtig?
Das war damals ein Ausgangspunkt und das ist weiterhin ein zentraler Punkt für uns: Dass die Perspektive der Betroffenen zentriert wird und das bedeutet, deren Forderungen in den Mittelpunkt zu stellen.
Es gibt den Bedarf die rassistischen Kontinuitäten, die der NSU sichtbar gemacht hat, zu thematisieren und zu bekämpfen. Das ist der Punkt, an dem die Ini sich gegründet hat und seitdem existiert sie in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Die Ini versucht anhand der Forderungen der Familie diese Morde weiter zu bearbeiten und damit eben auch an Halit zu gedenken und zu erinnern.
Damals gab es bereits die Erkenntnis, dass Gedenken in dieser rassistischen Dominanzgesellschaft schwierig ist. Das ist auch bis heute weiter so und deswegen gibt es die Notwendigkeit der Ini auch weiter zu existieren und genau das immer weiter anzukreiden und die Forderungen weiter zu tragen. Diese sind vor allem:
Die Umbenennung der Holländischen Straße in Halitstraße, die Rolle von Temme aufzuklären und den Verfassungsschutz anzuklagen, bzw. aufzulösen und Aufklärung! Kein Schlussstrich! Den NSU nicht als ein Trio zu begreifen, sondern als ein Netzwerk, das konkrete Unterstützung geleistet hat. Und auch über eine Gesellschaft zu sprechen, in der dieses Netzwerk überhaupt entstehen konnte und gedeckt wurde.
Einer der Bezugspunkte in unserem Projekt ist der 8. Mai 1945 – könntet ihr etwas dazu sagen, welche Bedeutung dieses Datum für eure Arbeit hat?
D: Wir haben in Hinblick auf das Gespräch darüber nachgedacht, dass der 6. April 2006 zwischen dem 8. Mai 1945 und dem 2. Juni 2019 liegt und in beide Richtungen der Blick frustrierend ist. Wir leben zwar zum Glück nicht mehr unter faschistischen Bedingungen aber auch nicht in einer antifaschistischen Gesellschaft. Sonst bräuchte es uns als Initiative nicht, weil diese Morde nicht passieren könnten und auch nicht alles was danach passiert ist so hätte passieren können. Dann stellt sich die Frage nach Kontinuitäten rechter Gewalt sowohl aus der NS-Zeit heraus als auch schon von vor der NS-Zeit; rassistische und antisemitische Kontinuitäten. Das ist ein wichtiger Bezugspunkt in unserer Arbeit. Auch die Frage: Was lernen wir aus Widerstand aus der NS-Zeit? Und was lernen wir aus der Gedenkpolitik um die Shoa? Da ist der 8. Mai dann ein wichtiger Tag.
C: Ich finde in Bezug auf den 8. Mai ist das nochmal komplizierter, was die Frage nach Betroffenenzentrierung angeht, weil da ja noch viel mehr Leute eine Form von Betroffenheit haben und genau das ist ja, was den 8. Mai auch ausmacht. Dass der Nationalsozialismus nicht nur für Jüd*innen tödlich war, sondern für ganz viele unterschiedliche Menschen, die ermordet wurden.
Es gibt unterschiedliche Motive, aus denen Menschen von faschistischer Gewalt betroffen sind. Es ist wichtig, das zu sehen und das aber nicht gegeneinander auszuspielen, sondern das miteinander in Beziehung zu setzen und z.B. zu sehen, dass Antisemitismus auch im Kontext NSU relevant ist.
Der NSU hat zwar vor allem rassistische Morde begangen, aber die Ideologie, auf die sich der NSU bezogen hat, war auch eine antisemitische. Die ersten bekannten Aktivitäten des NSU in den 90er Jahren in Thüringen waren antisemitische. Es wurden vom NSU z.B. Puppen mit dem gelben Stern von Brücken heruntergehangen. Der NSU hat sich durch ein selbst hergestelltes antisemitisches Vernichtungsspiel finanziert und im Untergrund dadurch überleben können. Da sehen wir, dass der NSU nicht nur rassistische Morde begangen hat, sondern auch diese antisemitische Ideologie, auch alleine schon im Namen, weitergeführt hat. Es ist wichtig anzuerkennen, dass es da auch diese Kontinuitäten gibt im NSU und über die wird auch einfach nicht so viel gesprochen.
Wir müssen also auch im Kontext von NSU über Antisemitismus reden und dann aber nicht daraus machen, dass deswegen Rassismus nicht relevant ist. Sondern eben genau diese Perspektiven zu verschränken. Und ich finde, das macht auch genau eine Betroffenenzentrierung für mich aus.
Wie würdet ihr diese zwei Daten mit dem Mord an Walter Lübcke in Bezug setzen? Nehmt ihr da Veränderungen in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung wahr?
C: Einerseits ist das Täternetzwerk ein ähnliches und es gibt personelle Kontinuitäten. Andererseits da zu merken, dass dieser Aufschrei und dieses „Nie wieder!“ auch kein „Nie wieder!“ ist. Sondern es kann jeden Tag passieren und es passiert auch jeden Tag und ich finde das macht auch der Mord an Walter Lübcke in dieser Stadt deutlich:
Die Notwendigkeit, dass eine erinnerungspolitische Perspektive nie nur auf eine Vergangenheit ausgerichtet ist, sondern immer die konkreten Konsequenzen solcher Gewalt benennt und Forderungen, die an eine Zukunft gerichtet sind, artikuliert.
D: Das ist etwas das auch mit dem „interessanten“ Umgang mit der NS-Zeit in Deutschland zu tun hat, dass es beim NSU zum ersten Mal ein breit wahrgenommenes „Krass, hier gibt es mordende Nazis!“ gab, was da schon absurd war, weil es eben in der BRD und der DDR davor schon hunderte andere rechte Morde gab.
Immer wieder erstaunt darüber zu sein, dass Nazis morden, ist für mich ein ganz klares Zeichen einer schwierigen Vergangenheitsbewältigung oder Erinnerungspolitik.
Weil in Deutschland darüber erstaunt zu sein, dass es Rechte gibt, die morden, das finde ich absurd. Das passiert wieder und wieder. Deswegen finde ich, hat sich bezüglich des politischen Umgangs und den gesellschaftlichen Voraussetzungen wenig verändert. Die Selbstorganisierung und Sichtbarkeit von Betroffenen und Aktivist*innen ist dafür aber anders und viel, viel stärker und sichtbarer.
Beim 02. Juni war ich überzeugt, dass es da ein staatstragendes, öffentliches Gedenken von der CDU oder wem auch immer gibt. Letztes Jahr hat die Kundgebung aber die Linkspartei angemeldet und da waren nicht viele Leute. Ich habe das Gefühl, dass das ansteht, mit der Familie Lübcke in Kontakt zu treten. Ähnlich wie beim 6. April denke ich, dass wir da keine Scheu haben sollten uns diesen Tag auch als antifaschistisches Gedenken zu begehen. Also das ist auf jeden Fall ein Datum, das wichtig sein sollte für uns.
Es ist trotzdem bitter zu sehen, wie anders staatlicherseits mit Lübcke umgegangen wird. Einerseits zumindest. Es wurde super schnell eine Brücke umbenannt, die Walter-Lübcke-Schule wurde umbenannt, es gibt eine Briefmarke, es soll ein Kunstwerk entstehen. Das sind Sachen, die es für Halit Yozgat nie gab. Da wird schon sichtbar, wessen Leben in diesem Land wie viel wert ist. Gleichzeitig ist es auch erschreckend zu sehen, wie wenig bürgerliche Parteien selbst den Mord an Walter Lübcke auf dem Schirm haben.
Deswegen denke ich, das ist nicht nur Rassismus, sondern das ist auch ein sehr deutsches Problem. Es gibt sicher vielfältige Analysen dazu, aber der Punkt von „Das darf es hier nicht geben, mordende Nazis darf es nicht geben, weil Deutschland ist wieder gut geworden.“, das ist nicht nur mit Rassismus zu erklären.
Sondern auch mit dem Anspruch einer „geläuterten Nation“?
C: Der 8. Mai war für die deutsche Bevölkerung nicht nur eine Befreiung, sondern auch eine Niederlage. Faschistische Tendenzen haben auch nach dem 8. Mai weiter existiert und das können wir auch in Bezug zum 6. April setzen. Dass es eine Entnazifizierung bis heute nicht gegeben hat, ist überhaupt erst die Bedingung dafür, dass diese 10 Morde passieren konnten. Die Sicherheitsbehörden waren nach ’45 auch Teil dieser fehlenden Entnazifizierung, das sehen wir in Bezug auf den 6. April in der Person Temme und dem Verfassungsschutz als solchen. Wir wissen, dass Andreas Temme als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes am 6. April im Internetcafé war. Es gibt die Nachstellungen der Situation und der Räume, die nachweisen, dass Temme den Schuss eigentlich gehört haben muss, dass Temme eigentlich auch Halit am Boden liegend gesehen haben muss und den Schmauch gerochen. Und Temme hat noch nie dazu ausgesagt. Weil er eine Aussageverweigerungsgenehmigung von Bouffier hat.
All das zeigt auch wieder, dass auf den Staat kein Verlass ist. Auf dem NSU-Tribunal 2017 in Köln wurden diese Kontinuität auch mitgedacht und abgebildet. Esther Bejerano hat das Tribunal eröffnet und eine Rede gehalten. Dort hat sie gesagt:
„Wenn es um Antifaschismus geht und den Kampf gegen Nazis, können wir uns auf den Staat nicht verlassen.“
Das ist ihre Lehre aus der NS-Zeit und der Aufarbeitung dieser. Die Konsequenz ist, dass man selber aktiv sein muss und handeln. Wir können als Linke den Staat dafür anklagen, dass das so nicht funktioniert und gleichzeitig sehe ich es auch als unsere Aufgabe, Alternativen zu schaffen, die nicht nur auf eine Kritik bauen, sondern zeigen, wie es anders aussehen kann.
Sowohl aus dem 8. Mai als auch dem 6. April sind für mich die Forderungen: erstens, eine Betroffenenzentrierung von Gedenken und Erinnern. Zweitens anzuerkennen, dass Morde von Faschos aus unterschiedlichen Motiven entstehen begangen werden und dass es vielfältige und unterschiedliche Kämpfe dagegen gibt. Wichtig ist, diese Kämpfe nicht gegeneinander auszuspielen, sondern zu gucken was eigentlich die verbindenden Punkte sind. Auch die Heterogenität von Gedenken muss anerkannt werden und geschaut werden, wie das dann aussieht und auch was sich Familien wünschen an finanziellem oder emotionalem Support. Aber eben auch einen Selbstschutz zu organisieren, der verhindert, dass Rechte weiter morden.